Wirtschaftsjurist vs. Volljurist – Ist der Wirtschaftsjurist wirklich eine Konkurrenz

Der Studiengang Wirtschaftsrecht wurde erstmals im Wintersemester 1993/1994 an der Fachhochschule Mainz angeboten. Seit diesem Zeitpunkt musste er hart für seine Daseinsberechtigung kämpfen.

Auch wenn sich der Studiengang heutzutage großer Beliebtheit erfreut und Wirtschaftsjuristen auf dem Arbeitsmarkt gern gesehen und gefragt sind, so werden sie dennoch von vielen nicht akzeptiert. Er vereint zwei der beliebtesten Studiengänge Deutschlands: Rechtswissenschaften und Wirtschaftswissenschaften. Daher fragen sich viele: Ist der Wirtschaftsjurist eine „eierlegende Wollmilchsau“ oder doch eher ein „Kompromiss“?

Gemeinsamkeiten

Das Wirtschaftsrechtstudium und das Jurastudium haben inhaltlich mehr gemeinsam, als viele denken. Folgende Rechtsgebiete werden in der Regel in beiden Studiengängen behandelt:

• Wirtschaftsprivatrecht (BGB AT, Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht)

• Unternehmensrecht

• Öffentliches Recht (Staats- und Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Europarecht)

• Arbeitsrecht

• Sozialrecht

• ZPO

• Wirtschaftsstrafrecht

• Wettbewerbsrecht

• Vertragsgestaltung, Vertrags- und Produkthaftung

• Steuerrecht

• Insolvenzrecht


Unterschiede

Der größte Unterschied ist sicherlich, dass das Wirtschaftsrechtstudium auf ein Bachelor-Master-System und das Jurastudium auf ein Staatsexamen-System aufgebaut ist. Dem Wirtschaftsjuristen fehlt somit das erste und zweite juristische Staatsexamen sowie das Referendariat. Abgesehen davon gibt es aber auch inhaltliche Unterschiede im Studium. Während im Jurastudium kaum oder überhaupt keine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse erworben werden, kommt im Wirtschaftsrechtstudium vor allem die juristische Methodenlehre sowie das Prozessrecht zu kurz.

Bereiche in denen eine Konkurrenz bestehen kann

Besonders große Konkurrenz gibt es bei Stellen in großen Anwaltskanzleien, die nicht auf die Rechtsberatung oder Vertretung von Mandanten, sondern auf die Assistenz von Partnern der Kanzlei ausgerichtet sind, da hierfür kein zweites juristisches Staatsexamen notwendig ist. Auch die Insolvenzverwaltung, die anfangs lediglich von Volljuristen beherrscht wurde, ist offen für Wirtschaftsjuristen. Durchaus beliebt bei Volljuristen mit Interesse am Steuerrecht und an betriebswirtschaftlichen Fragestellungen ist die Weiterbildung zum Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Auch dieser Weg ist für Wirtschaftsjuristen offen.

Ausgeschlossen von der Konkurrenz sind vor allem die Bereiche, in denen man nur mit zweitem juristischen Staatsexamen tätig werden kann, wie z.B. Rechtsanwalt, Staatsanwalt und Richter.

Fazit

Abschließend lässt sich feststellen, dass sich die Frage, ob der Wirtschaftsjurist eine wirkliche Konkurrenz zum Volljurist ist, eigentlich überhaupt nicht stellt. Die Intension hinter dem Beruf Wirtschaftsjurist ist nicht, eine Konkurrenz zu Volljuristen darzustellen, sondern eine Schnittstellenposition zwischen Wirtschaft und Recht zu besetzen und genau an dieser Stelle seine Kenntnisse in beiden Bereichen einzusetzen oder zwischen den „reinen“ Wirtschaftswissenschaftlern und Rechtswissenschaftlern zu vermitteln. Es gibt jedoch Bereiche, wie bereits oben gezeigt, in denen Wirtschaftsjuristen und Volljuristen um Stellen konkurrieren. Die Stellen in diesen Bereichen sind jedoch so zahlreich, dass der eine nicht die Existenz des anderen gefährdet. Der Volljurist sollte daher den Wirtschaftsjuristen, wie auch umgekehrt, nicht als Feind, sondern vielmehr als Kooperationspartner sehen.


© Christoph Bieramperl


Über den Autor:

Christoph Bieramperl ist Jahrgang 1992 und studiert Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt "Betrieb und Steuern" und "Insolvenz- und Sanierungsmanagement" an der Hochschule Schmalkalden. Sein beruflicher Weg führte ihn von einer erfolgreichen Ausbildung zum Industriekaufmann und einer Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter zum Studiengang Wirtschaftsrecht. Während des Studiums geht er zahlreichen Nebentätigkeiten nach und engagiert sich in diversen Projekten. Interkulturelle Kompetenzen hat er unter anderem durch ein Auslandssemester in Südkorea und die Betreuung von ausländischen Studierenden erlangt.